Gesang zur Dämmerung

für Hugo Ball

Oktaven taumeln Echo nach durch graue Jahre.
Hochaufgetürmte Tage stürzen ein.
Dein will ich sein —
Im Grabe wachsen meine gelben Haare
Und in Hollunderbaümen leben fremde Völker
Ein blasser Vorhang raunt von einem Mord
Zwei Augen irren ruhelos durchs Zimmer
Gespenster gehen un beim Küchenbord.
Und kleine Tannen sind verstorbene Kinder
Uralte Eichen sind die Seelen müder Greise
Die flüstern die Geschischte des verfehlten Lebens.
Der Klintekongensee singt eine alte Weise.
Ich war nicht vor dem bösen Blick gefeit
Da krochen Neger aus der Wassenkanne,
Das bunte Bild im Märchenbuch, die rote Hanne
Hat einst verzaubert mich für alle Ewigkeit.


Morfin

Wir warten auf ein letztes Abenteuer
Was kümmert uns der Sonnenschein?
Hochaufgetürmte Tage stürzen ein
Unruhige Nächte — Gebet im Fegefeuer.

Wir lesen auch nicht mehr die Tagespost
Nur manchmal lächeln wir still in die Kissen,
Weil wir alles wissen, und gerissen
Fliegen wir hin und her im Fieberfrost.

Mögen Menschen eilen und streben
Heut fällt der Regen noch trüber
Wir treiben haltlos durchs Leben
Und schlafen, verwirrt, hinüber...


Puppen


Die vielleicht letzte Flucht

Tiefe Nacht. Still. In einer fremden Stadt ein steiles Zimmer. Eckig.
Mattes Kerzenlicht flackert.
Dämonisch öffnet sich eine Tür.
Zwei Wesen sitzen einander gegenüber. Ein Mensch und die Frau.
Der Mann (sich in zwei graue Seen versenkend, die auch unruhig waren) spricht : „Ich möchte
Dich ansehen. Immer ansehen — ganz genau ansehen. —
Die Frau : (langsam und gedehnt) : „Ich glaube man soll nichts genau ansehen. Nur nicht genau ansehen. Ich glaube — —“
Der Mann : „Du glaubst, sagst Du ? !“
die Frau (zögernd) : „Ja. Mir erscheint alles zweifelhaft. Alles fraglich.
Vielleicht —“
Er (wie trinkend) : „O sprich zu mir — ich höre !“
Sie (verzehrend, mit abgerissener Gebärde) : „Nimm mich! Nimm mich !“
sie fielen in einander. Sie flog ihm zu . . .
Später griff er sofort nach einer Cigarette.
Sie lächelte leise (ein Lächeln, das umso süsser wirkte, weil es selten war) : „Ah! Du bist einer von denen. Hm. Sofort neue Reize.“
Er : „Ein anderes Thema.“
Seine Augen blickten kühl. Um die Lippen, boshaft schmal irrte ein graues Lächeln. Das Lächeln des Mörders.
Sie sah entgeistert auf seinen offenen Mund. Seine Augen kniffen sich zynisch zuzammen.
Das schlug es in sie. Augen brannten in einander. Saugten sich fest. Da erkannte sie ihn.
Hinüber und herüber ein geheimes Zeichen.
Er : „Ja. Ja.  . . . ich bin derjenige — — —“
Sie zitterte. Sie fiel schüchtern in seine Hände. Und dann zu ihm aufblickend und hingeworfen gestreckt) : „Dir leb ich — Dir sterb ich.“
Und wieder dieses graue Mörderlächeln um seinen schmalen Mund.“
— — Am andern Tage trafen sie sich. Er fragte „Wie geht es Dir ?“
Und sie starb, weil sie sich beobachtet fühlte.

par Emmy Hennings